«Ich bin jung, klar kann ich mit Veränderungen umgehen, aber meine alten Kollegen/innen, die wehren sich gegen alles Neue…»
So oder so ähnlich starten viele junge Menschen (wie auch immer du «jung» definieren magst) in meine Seminare zum Umgang mit Veränderungen.
Ich hinterfrage das meist mit einem kurzen Blick auf meinen Bekanntenkreis:
Meine betagte Nachbarin stellt jedes Jahr ihr ganzes Haus um, während bei meiner 23-jährigen Praktikantin nichts verschoben werden darf.
Mein Arbeitskollege plant eine Weltreise im baldigen Ruhestand, während ein wesentlich jüngerer Trainingspartner stets argumentiert, dass Urlaub auf Balkonien am schönsten sei.
Angesichts dieser Beispiele schauen meine Seminarteilnehmenden nachdenklich und ergänzen dann:
«Anders verhält es sich aber bei der Digitalisierung, damit haben ältere Menschen definitiv mehr Schwierigkeiten!»
Dabei muss ich anmerken, dass ich immer meinen Vater anrufe, wenn ich in der digitalen Welt nicht klarkomme. Du wirst es ahnen, er ist Softwareentwickler.
Dass ältere Menschen sich gegen Veränderungen wehren, ist ein weit verbreiteter Stereotyp. Aber lässt sich die Behauptung tatsächlich so einfach aufstellen, dass junge Menschen mit Veränderungen besser umgehen können als ältere?
Was es für den Umgang mit Veränderungen braucht und welche Rolle das Alter dabei spielen kann, werde ich in diesem Blog-Beitrag kurz umreissen.
Welche Veränderungen in der Arbeitswelt im Gange sind und welche Auswirkungen sie auf dich haben können, wird im «CAS Wirtschaftspsychologie – Neue Trends» im Detail diskutiert. Dabei sind Digitalisierung und gesellschaftlicher Wertewandel die Schlagworte, die in diesem Blog-Beitrag Anwendung finden.
In nächster Zeit werden weitere Beiträge folgen, die dir einen Einblick in das «CAS Wirtschaftspsychologie – Neue Trends» geben und zum weiteren Nachdenken über dessen Themen anregen sollen.
Was ist eine Veränderung?
Aus psychologischer Sicht ist «Veränderung» (für dich als einzelne Person im Gegensatz zu einem Unternehmen) eine Leistung, bei der du von einem Zustand A in einen Zustand B wechselst. Die leichteste Form Leistung zu definieren, ist über folgende Formel:
Leistung = Motivation + Fähigkeit – situationale Hindernisse Leistung kann als die Summe von Motivation und Fähigkeit, abzüglich der situationalen Hindernisse, betrachtet werden (nach Bandura). Diese Gleichung verdeutlicht, dass die Effektivität einer Handlung nicht nur von der Motivation und den Fähigkeiten einer Person abhängt, sondern auch von den Umständen, die sie umgeben. Wenn diese Faktoren berücksichtigt werden, kann besser verstanden werden, warum Menschen bestimmte Leistungen erbringen oder nicht - mit anderen Worten, warum Menschen in der Lage sind, Veränderungen durchzuführen oder eben nicht. |
Ich versuche dir dies anhand eines Beispiels näher zu verdeutlichen.
Stell dir vor, du bist in einer Firma tätig, die neu Home-Office als Arbeitsform einführt. Du musst also fähig sein, von zu Hause aus zu arbeiten. Fähig zu sein bedeutet, dass du dir eine neue Arbeitsstruktur aneignen und dir ein störfreies Arbeitsumfeld schaffen musst. Ausserdem benötigst du die Freude und die nötige Motivation, um von zu Hause aus zu arbeiten. Schliesslich wäre es hinderlich, wenn dir das Unternehmen keinen Laptop oder weiteres Arbeitsequipment zur Verfügung stellt.
Die situationalen Hindernisse sind meistens wie auch in diesem Fall auf Seiten der Organisation und betreffen Jung und Alt zugleich, daher lassen wir diese bei der Frage nach Umgang mit Veränderungen im Alter ausser Acht.
Die Leistungskomponente Fähigkeit im Sinne der Veränderung bezieht sich hauptsächlich auf die Lern- und Anpassungsfähigkeit einer Person, während Motivation sich auf die Veränderungsbereitschaft bezieht. Die angepasste Formel für Veränderung, der ich gemeinsam mit dir im Folgenden auf den Grund gehe, wäre demnach:
Veränderung = Veränderungsbereitschaft + Lernfähigkeit [– situationale Hindernisse] |
Lernfähigkeit - die grauen Zellen im Alter
Die Behauptung, dass Lernen in jüngeren Jahren besser gelingt, wenn das «rohe» neuronale Lernen betrachten wird, stimmt.
Vor dem 20 Lebensjahr ist das Gehirn in der Reifephase und ist sehr flexibel. Aus diesem Grund können Personen schnell Informationen aufnehmen und speichern.
Jedoch haben Menschen mit dem Alter mehr Strategien, um Informationen zu verarbeiten. Ausserdem wird mehr Wissen akkumuliert, mit dem diese Informationen verknüpft werden können.
Interessante Erkenntnisse der Hirnforschung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) zeigen zudem, dass das Gehirn auch im Alter beweglich bleibt. Die Veränderung der neuronalen Verbindungen (sog. Neuroplastizität) und Entstehung neuer Neuronen (sog. Neurogenese) ermöglichen es dem Gehirn, sich immer wieder zu verändern und damit lebenslang zu lernen und an äusseren Wandel anzupassen.
Erfahrung ist ein weiterer wichtiger Faktor beim beruflichen Lernen: Je länger Personen berufstätig sind, desto mehr Erfahrung haben sie in einem Bereich, was das Lernen ebenfalls erleichtert. Das bestätigen unter anderem Studien von Professor Guido Hertel von der Uni Münster, der bereits einige Altersstereotypen widerlegt hat.
Deswegen findet sich mein Vater als Softwareentwickler heute noch schneller in einer neuen App zu Recht als ich, eine Psychologin. Schliesslich sagen mir ältere Seminarteilnehmende häufig:
«Ich hab schon so viel mitgemacht, das schaff ich auch noch.»
Mit dem Alter kommt oft auch eine gewisse Gelassenheit und diese hilft beim Anpassen an Veränderungen enorm.
Ja, ich will! – A propos Veränderungsbereitschaft
Für Berufstätige sind am Arbeitsplatz je nach Alter unterschiedliche Dinge wichtig, so Professor Hertel. Aus diesem Grund können sich Reaktionen auf Veränderungen je nach Alter unterscheiden.
Das darfst du nicht mit einer steigenden Veränderungsresistenz verwechseln.
Im «CAS Wirtschaftspsychologie – Neue Trends» wird im Modul 04 besprochen, welche Unterschiede zwischen den Generationen bestehen. Was glaubst du, wie diese Generationsunterschiede den Umgang mit Veränderungen beeinflussen? |
Sogar ChatGPT gibt ein klares «Kann sein», als ich fragte, ob ältere Menschen weniger veränderungsbereit sind. ChatGPT verweist zügig auf andere Einflussfaktoren die Veränderungsbereitschaft beeinflussen.
Es gibt zahlreiche Einflussfaktoren, von denen ich vier herausgepickt habe: Veränderungsbereitschaft wird vor allem von Wissen über die Veränderung, dem sozialen Umfeld, dem aktuellen Zustand und der Persönlichkeit beeinflusst.
Wissen, was abgeht
Über das akkumulierte Wissen und Erfahrungsschatz im Alter habe ich dir weiter oben schon nähere Informationen aufgezeigt:
«Je mehr ich weiss, desto einfacher ist es noch etwas dazuzulernen. Kenn‘ ich Skype und Microsoft Teams, schaff‘ ich Zoom auch noch.»
Die andere Form von Wissen, ist das Wissen über die geplante Veränderung:
Es ist ganz hervorragend, wenn es der Organisation, in der du arbeitest, gelingt, die Einführung von Veränderungen transparent, zeitnah und unterstützend zu kommunizieren. Wissen, was passiert, hilft veränderungsbereit zu sein.
Welche konkreten Veränderungen deine Arbeitswelt betreffen, wird vor allem in den Modulen zu Digitalisierung, New Work und Cyberpsychologie gelehrt. Weisst du genug darüber, was auf dich zukommt? |
Die wenigstens finden es angenehm, überrumpelt zu werden oder unendlich lange auf angekündigte Veränderung zu warten.
Schliesslich ist es förderlich zu wissen, was psychologisch während Veränderungen mit Menschen passiert, um einen Umgang für sich selbst mit Veränderungen zu finden.
Was denkt das soziale Umfeld
Das soziale Umfeld macht viel aus: Kann mich jemand unterstützen? Sind wir alle betroffen oder bin ich die Ausnahme? Wie finden die anderen eigentlich die Veränderung?
Natürlich kommst du besser mit Veränderungen klar, wenn alle um dich rum Feuer und Flamme sind; was ich allerdings in der Praxis auch häufig mitbekomme, ist ein gemeinsames Grübeln und Meckern. Nach und nach schimpft das ganze Team: «früher war alles besser».
Gerade während Veränderungsprozessen ist es daher sinnvoll durch Teammassnahmen ein unterstützendes soziales Umfeld zu schaffen. Auch positive Vorbilder, gerade von Menschen höheren Alters, fördern die Veränderungsbereitschaft.
Mein Zustand – Akku voll?
Die Bedeutung des aktuellen Zustandes einer Person ist einfach darzustellen:
Veränderungen kosten Energie.
Auch für gewünschte, positive Veränderungen musst du Energie investieren. Wenn du müde und abgeschlagen bist, in Gedanken gerade bei der Sanierung des Haues oder der Pflege von Angehörigen, dann ist es ungleich mühsamer dich in eine neue App einzufuchsen.
Daher sollten Organisationen auch in Zeiten von grossen Veränderungen die betrieblichen Gesundheitsmassnahmen nicht vernachlässigen und auf Erholungszeiten ihrer Mitarbeitenden achten.
Das Modul M05 vom CAS Wirtschaftspsychologie – Neue Trends fokussiert persönliche, berufliche und organisationale Resilienz. Du erhältst alle nötigen Kenntnisse, um ein betriebliches Gesundheitsmanagement im eigenen Unternehmen oder in der eigenen Organisation zu planen und umzusetzen. |
Veränderungsbereitschaft als Teil der Persönlichkeit
Schliesslich ist da deine Persönlichkeit - als letztes beschrieben ist sie wahrscheinlich die wichtigste Grösse in dieser Rechnung.
Das Persönlichkeitsmerkmal, welches Psychologen hier untersuchen, ist die «Offenheit für neue Erfahrungen» (kurz: Offenheit). Die Offenheit einer Person sagt aus, wie gerne sie Neues ausprobiert, neugierig ist und Abwechslung braucht. Es ist einleuchtend: Wenn du ein offener Typ bist, fallen dir Veränderungen leichter als weniger offenen Personen, ob du das willst oder nicht.
Deine Persönlichkeit bringst du teilweise mit, sie wird stark geformt in der frühen Kindheit und bekommt ihren letzten Schliff im Jugendalter. Danach bleibt sie bis ins hohe Alter ziemlich stabil. Klar, gibt’s Ausnahmen und Extremsituationen, die einen im Innersten «umkrempeln», aber im Grossen und Ganzen war‘s das mit der Persönlichkeitsentwicklung.
Trotz der intuitiven Vorstellung, dass «Offenheit für Veränderung» im Alter abnimmt, gibt es dazu bei Weitem keine eindeutige Befundlage. Professor Brent Roberts forscht seit mehreren Jahrzenten zu diesem Thema und stellt fest, dass in manchen Studien eine leichte Tendenz zur Abnahme sichtbar ist und anderen wiederum nicht, so dass sich das bei metaanalytischen[1] Befunden ziemlich ausgleicht.
Recht eindeutig ist die Abnahme dieses Merkmals im hohen Alter (>70), was im beruflichen Kontext weniger relevant ist.
Mit anderen Worten: Wenn du von der Persönlichkeit her eher weniger offen für Neues bist, fallen dir Veränderungen einfach schwerer, unabhängig vom Alter.
[1] Analysen von einer grossen Zahl von Studien mit gleichem oder ähnlichem Forschungsgegenstand
Zuletzt – Vorsicht vor der selbsterfüllenden Prophezeiung
Zum Schluss möchte ich den Effekt der selbsterfüllenden Prophezeiung erwähnen.
Oft siehst du, was du sehen möchtest, beziehungsweise was im Einklang mit deiner Einstellung und (Vor-)urteilen steht.
Wenn du etwa annimmst, dass ältere Menschen schlechter mit Veränderungen umgehen, bist du sofort geneigt, deren Verhalten so zu interpretieren, dass deine Annahme bestätigt wird. Sobald ein älterer Kollege einen Zweifel äussert, folgt sogleich «ach der schon wieder, der ist halt zu alt für Neues».
Im Gegenzug kann sich auch der ältere Kollege wunderbar darauf ausruhen und somit der Prophezeiung zur Erfüllung verhelfen: «Ich bin alt, ich kann das nicht, mach du mal…».
Nicht anders kanns dir mit jüngeren Kollegen gehen, die – stereotypisch gesehen - veränderungsbereit sind: Sobald sie einen Zweifel äussern, denkst du «gut, er/sie denkt kritisch mit!». Wobei die junge Person häufig nicht zugibt, dass sie Mühe beim Akzeptieren der neuen digitalen Anwendung hat, sodass du es gar nicht mitbekommst. Um der Stereotype gerecht zu werden, müssen junge Leute viel Energie verbrauchen, um veränderungsbereit zu erscheinen.
Fazit
Überraschung: Jüngere Menschen sind nicht generell veränderungsbereiter als ältere Menschen.
Die Persönlichkeitseigenschaft «Offenheit für Neues» verändert sich mit dem Alter kaum. So kannst du ohne weiteres auf veränderungsresistente junge Menschen treffen und auf «Veränderungsjunkies» im hohen Alter.
Vor allem im Arbeitskontext können ältere Menschen durch ihre Berufserfahrung oft die abnehmende kognitive Leistung ausgleichen.
Es ist wichtig sich selbst ehrlich einzuschätzen und sich nicht dafür zu schämen, wenn man nun mal nicht so offen ist. (Auch wenn du jung bist, ist das ok! Du kannst ziemlich sicher nicht mal was dafür.)
Wenn du weniger offen bist, kannst du dir helfen, indem du dich gut informierst, ein Umfeld suchst, das dich unterstützt und motiviert und Veränderungen angehst, wenn es dir gut geht.
Auf gleiche Weise kannst du auch ältere Kollegen unterstützen, wenn sie wirklich Schwierigkeiten mit Veränderungen haben sollten.
Für uns alle ist es beim Thema Veränderungsbereitschaft die Altersstereotypen zu überdenken.
Vor allem gilt dies für Personalentwickler und Führungskräfte, die begreifen müssen, dass ältere Mitarbeitende nicht schwieriger sondern anders motiviert und begleitet werden müssen als jüngere.
Dieselbe Personengruppe sollte auch mehr zum Thema Resilienz und Gesundheit wissen, wozu ich beim nächsten Mal schreibe.