Was ist Religionswissenschaft oder was ist sie eben nicht?
Was sind ihre Methoden, ihr Anspruch, ihre Perspektiven?
Mit diesen Fragen befasst sich dieser Blogbeitrag und dient als Einstieg in die fünf Schlüsselpunkte.
Jede Erkenntnis verdient es, näher ausgeführt zu werden, aber mein Ziel ist es, dich in die Religionswissenschaft einzuführen und dir damit einen kleinen Einblick in dieses noch wenig bekannte Studiengebiet zu geben.
Es ist für das Verständnis unserer Gesellschaft und derer, die vor uns gelebt haben, äußerst wichtig.
Zurück zur ersten Frage: Was ist Religionswissenschaft?
Ist das die Wissenschaft, die von Klerikern praktiziert wird? Ein mysteriöser Kult? Geht es um Magie oder Inkarnation?
Keineswegs – weder Merlin der Zauberer noch Morgan le Fay aus der Artussage werden am Dozentenpult stehen und du wirst im Studium an der FernUni Schweiz auch nicht verzaubert.
Vielleicht abgesehen von dem Zauber, der dieses akkreditierte universitäre Institut enthält – nämlich, dass man Studium mit dem Privatleben vereinbaren kann und eine erstklassige Ausbildung geniesst, die auf die Bedürfnisse der Studierenden zugeschnitten ist.
Dennoch beschäftigt sich die Religionswissenschaft mit diesen Phänomen (Praktiken, Mythen, religiöse Rituale usw.), diesen Themen (Zauberei, Heilungen, Okkultismus, Magie usw.) sowie mit anderen Bereichen, die mit Religion und Spiritualität zusammenhängen. Die Religionen – im Plural – mit all ihrer Vielfalt sind Zentrum dieses Fachbereichs.
1. Die Religionswissenschaft ist eine wissenschaftliche Lehre, die das Religiöse in all seiner Vielfalt erforscht
Wenn von „Wissenschaft“ gesprochen wird, dann deshalb, weil es sich um ein Studiengebiet handelt, das konsequent objektive Methoden heranzieht, um überprüfbare Erkenntnisse zu gewinnen.
Die Methoden, die der Religionswissenschaft zugrunde liegen, sind sehr zahlreich und vielfältig. Das Gebiet schöpft aus verschiedenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachrichtungen: Geschichte, Soziologie, Anthropologie, Ethnologie, Philologie, Linguistik, Archäologie oder auch Politikwissenschaft.
Man spricht häufig auch von Religionswissenschaften in der Mehrzahl, um diese wissenschaftliche Lehre zu beschreiben.
2. Religionswissenschaft ist nicht Theologie
Nachdem wir jetzt eine Vorstellung davon haben, was Religionswissenschaft ist, klären wir nun, was sie nicht ist. Wir wissen, dass diese Lehre empirische, objektive Methoden anwendet, um das Religiöse zu untersuchen.
Sie dient nicht dazu, die Religionen, die sie erforscht, zu verherrlichen oder zu kritisieren. Ihr Zweck besteht vielmehr darin, deren Besonderheiten zu verstehen.
Aus diesem Grund darf die Religionswissenschaft auch nicht mit der Theologie verwechselt werden, von der Wortbedeutung her die „Lehre von Gott“, also die Auseinandersetzung mit dem Göttlichen aus einer (zumindest meistens) bekennenden, das heisst gläubigen Perspektive.
Im Gegensatz zu den Theologinnen und Theologen haben Religionswissenschaftler/innen eine neutrale Haltung – oder streben zumindest danach.
Ob es um die Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche oder einer sektenhaften Bewegung oder einer anderen Art von Kult geht, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben kein Urteil ab. Vielmehr verfolgen sie das Ziel, zu beobachten und zu verstehen und nicht zu propagieren, zu verteidigen oder zu verurteilen.
Das heisst aber nicht, dass sie sich nicht leidenschaftlich mit einem Thema auseinandersetzen oder ihr Herzblut in eine Recherche stecken – ganz im Gegenteil, das ist sogar sehr erwünscht!
3. Die Religionswissenschaft ist eine Reise, auf der man dem Anderen und sich selbst begegnet
Wir wissen jetzt, dass die Methoden der Religionswissenschaft zahlreich und vielfältig sind, aber wie sieht dies in der Praxis konkret aus?
Sobald Forschungsthema und -fragestellung feststehen, begeben sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Suche.
Die Reise kann in die Archive führen, zum Beispiel um das Thema Altertum zu bearbeiten, etwa die Rolle der Frau in den Mysterienkulten im antiken Rom.
Die Recherche kann aber auch vor Ort in der Schweiz stattfinden. Das ist beispielsweise der Fall, wenn das Ziel der Recherche darin besteht, den Erfolg der evangelikalen Bewegung im Land besser zu verstehen oder das Pilgertum im Wallis zu untersuchen.
Wenn die Gegebenheiten es erlauben, reisen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch ins Ausland. Zum Beispiel um den Stellenwert des Islams in den Flüchtlingscamps im Libanon zu erforschen, an der Bewegung „Manif pour tous“ teilzunehmen oder um die Aktivistinnen und Aktivisten zu interviewen.
Sie folgen den Spuren der Migrierenden, untersuchen deren Beziehung zum Sakralen, wohnen Heilungsritualen in Lateinamerika bei oder erleben den Weltjugendtag mit usw.
Diese Reisen können auch virtuell (online) stattfinden, zum Beispiel durch Analyse islamfeindlicher Äusserungen in den sozialen Netzen.
Durch die Religionswissenschaft erfährt man nicht nur mehr über die Anderen und deren Verhältnis zur Religion, sondern auch über sich selbst und die eigene Beziehung zum Sakralen.
4. Die Religionswissenschaft liefert viele Erkenntnisse und man erlernt unterschiedlichste Kompetenzen, die sowohl im universitären Bereich als auch ausserhalb nützlich sind
Sicherlich fragt sich jeder zu Beginn des Studiums: „Was bringt mir das?“
Die Religionswissenschaft liefert Antworten auf die grossen Fragen im Zusammenhang mit den Religionen und der Spiritualität.
Was ist eine Religion? Was versteht man unter „Sekte“? Sind alle Muslime gleich? Und was hat es mit dem Dschihadismus auf sich? Yoga - was ist das? Welcher Stellenwert hat die Frau in den grossen Religionen?
Sind alle grossen Religionen gewaltbereit? Ist unsere Gesellschaft säkularisiert? Was bedeutet „Laizität“?
Das ist nur einige der Fragestellungen, mit denen sich die Religionswissenschaft befasst.
Sie vermittelt nicht nur Grundlagenwissen zu den Religionen (Geschichte, Mythen, Riten, Besonderheiten usw.), sondern fördert auch die Entwicklung beruflicher und menschlicher Kompetenzen.
Man lernt zum Beispiel:
- gezielte Recherchen zu betreiben (in Archiven oder im Internet)
- ein Gespräch zu konzipieren, zu führen und niederzuschreiben
- ein Ritual zu beobachten und die wesentlichen Merkmale abzuleiten und vor allem
- all diese Daten zu sammeln und zu aggregieren - als Diskursgrundlage
Es ist nicht immer einfach, ohne Vorbehalte und Vorurteile mit Gläubigen in Kontakt zu treten oder einem Ritual mit einer gewissen Distanz beizuwohnen.
Daraus leitet sich auch der Anspruch dieser Lehre ab – dass du über dich selbst hinauswächst!
Die Religionswissenschaft bietet verschiedene berufliche Möglichkeiten
Abschliessend noch ein paar Worte zu den beruflichen Perspektiven.
Wie bei allen Geistes- und Sozialwissenschaften ist auch die Religionswissenschaft kein Beruf im eigentlichen Sinne. Vielmehr entscheidest du dich während des Studiums für eine Vertiefungsrichtung.
Hier bieten sich verschiedene Möglichkeiten:
- Am Gymnasium oder auf noch höherer Stufe unterrichten. Religionswissenschaft ist zum Beispiel Pflichtfach und Ergänzungsfach an den Kollegien des Kantons Freiburg und anderswo in der Schweiz
- Tätigkeit als Journalist (online oder Print): Es gibt viele Medien in der Schweiz und im Ausland, die sich mit religiösen Themen beschäftigen (Aufbruch oder Zeitschrift für Religionskunde zum Beispiel).
- Produktion von Dokumentarfilmen für Spartensender oder -sendungen (z. B. Sternstunde Religion SRF)
- Tätigkeit als Expertin oder Experte für öffentliche Verwaltungen, die immer auf der Suche nach Spezialisten für kulturelle Vielfalt und Inklusion sind.
- Ausbilderin oder Ausbilder in einem Unternehmen ist ebenfalls eine Möglichkeit, vor allem heute, wo die Schweiz (kulturell und religiös) immer vielfältiger wird, auch im privaten Sektor.
- Beraterin oder Berater in internationalen Organisationen oder NGOs, die sich sehr intensiv mit interreligiösem Dialog und Peace building
Fazit
Jetzt zum Schluss habe ich mich gefragt, ob ich statt „5 überraschende Erkenntnisse über die Religionswissenschaft“ nicht besser den Titel „5 gute Gründe, Religionswissenschaft zu studieren“ gewählt hätte.
Ich hoffe jedenfalls, mit meiner einführenden Beschreibung die Lust geweckt zu haben, mehr über diese vielfältige Lehre zu erfahren.