Gestern gelernt, heute spurlos verschwunden? Das kann mal vorkommen. Kommt es aber regelmässig vor, lohnt es sich, beim Lernen die Strategie zu wechseln. In vier Schritten zum besseren Gedächtnis.
Ich habe das gestern erst gelernt – und heute ist alles wieder weg.
Nicht nur Senioren, auch Studierende machen sich manchmal Sorgen, mit ihrem Gedächtnis sei etwas nicht in Ordnung. Bei jungen Menschen ist die Sorge in der Regel unbegründet: Ihr Erinnerungsvermögen ist intakt. Verbesserungsfähig ist viel eher die Art und Weise, wie sie sich etwas ins Gedächtnis rufen.
Gedächtnis? Diese chaotische Gerümpelkammer…?
Mit den verschiedenen, hinlänglich bekannten wissenschaftlichen Modellen wie Ultrakurz-, Kurz- und Langzeitgedächtnis wollen wir uns jetzt gar nicht befassen.
Im Studium oder Online Studium interessiert ja vor allem eines: Wie rufe ich mir den Stoff so ins Gedächtnis, dass ich ihn zuverlässig abrufen kann, wenn ich ihn brauche?
In Tests erleben viele diese Situation: «Ich weiss, dass ich das gelernt habe – aber ich kann gerade nicht darauf zurückgreifen!» Unser Gedächtnis erscheint uns mitunter wie ein riesiges, unendlich grosses Lagerhaus - bis unters Dach vollgestopft und leider ziemlich unordentlich.
Das Chaos entsteht, wenn wir glauben, mehrere Dinge auf einmal mit der gleichen Aufmerksamkeit tun zu können.
Zum Beispiel wenn wir uns müde, gestresst oder unter emotionalen Belastungen an schwierige Themen arbeiten oder wenn wir zu wenig Struktur in unsere Informationen bringen oder unsere Merkfähigkeit schlicht überschätzen.
Um beim Bild des Lagerhauses zu bleiben – so schaffen wir Ordnung:
1. Wir müssen hellwach und aufmerksam sein, wenn wir etwas in einem Regal unterbringen wollen – unsere Aufmerksamkeitsspanne ist sehr begrenzt.
2. Wir dürfen uns nicht zu viele Dinge auf einmal aufbürden – im Kurzzeitgedächtnis können nur wenige Informationen auf einmal behalten werden.
3. Wir müssen die Information verständlich machen – sinnliche oder bedeutsame Anreicherung erleichtert den Einprägeprozess.
4. Wir müssen den Weg zur Information mehrmals gehen, um sie später zuverlässig abrufen zu können – Wiederholung transportiert die Information ins Langzeitgedächtnis.
So packst du das Gelernte gut ins Gedächtnis:
1. Verstehen ist zentral
Wer nicht versteht, was er abruft, lernt auswendig. Nun gibt es zwar durchaus Informationen, die auswendig gelernt werden müssen – in der Regel sind es Schlüsselwörter, Begriffe, Fachwörter, Formeln, Zahlen, Daten, Fakten – doch im Studium ist es meistens sehr viel wichtiger, Zusammenhänge herzustellen, Fakten zu vergleichen und zu analysieren oder Sachverhalte zu erörtern.
Also musst du ein wachsames Auge darauf haben, zu verstehen was du abspeichern willst. Wo nötig, müssen Begriffe übersetzt oder nachgeschlagen werden.
Versuche, Abläufe oder Prozesse nachzuvollziehen, Schritt für Schritt – vielleicht sogar, indem du sie visualisierst, durch kleine Strichzeichnungen oder eine Skizze.
Es ist sinnlos, eine komplizierte Definition auswendig zu lernen, wenn du nicht in deinen eigenen Worten erklären kannst, was sie eigentlich bedeutet.
Sind Textstellen komplex, hilft es, Satz für Satz oder Abschnitt für Abschnitt zu lesen und sofort zu prüfen, ob du das Gelesene in eigenen Worten wiedergeben kannst. Klemmt es beim Verständnis, lohnt es sich, Hilfe anzunehmen, beispielsweise kannst du einen Lernpartner oder eine Lernpartnerin fragen. Oftmals ist es auch hilfreich, das Lernmedium zu wechseln.
Ein anderes Buch etwa oder ein Lernvideo kann den Zugang vereinfachen.
Wichtig ist, dein Lerntempo zu drosseln, wenn du merkst, dass es dir am Verständnis fehlt. Viele werden schneller, wenn das Lernen mühevoll wird. Verständlich: Unangenehmes wollen wir so schnell wie möglich hinter uns bringen. Zum Lernerfolg führt das aber nicht.
Um beim Bild der Lagerhalle zu bleiben: Wir laden uns beim einzelnen Gang ins Lager viel zu viel auf und versuchen, das Zeug so rasch wie möglich irgendwo abzuladen. Das Resultat: ein heilloses Durcheinander.
Lernprinzip: Wenn es schwierig wird, verlangsame das Lerntempo! Lerne so langsam, dass du es verstehst.
2. Informationen maximal reduzieren
Ist alles, was du im Studium hörst, liest oder erfährst, wirklich wichtig? Was ist wesentlich? Was kannst du weglassen?
Gar nicht so einfach, dies zu beantworten, denn um zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem unterscheiden zu können, ist Erfahrung nötig.
Neulinge in einem Thema erkennt man deshalb manchmal daran, dass sie sehr viel markieren in einem Text – nach dem Motto «alles ist wichtig!» - oder versuchen, möglichst alles auswendig zu lernen. Dann droht eine Informations-Überflutung.
Hier hilft es, sich rigoros einzuschränken und Schlüsselbegriffe äusserst sparsam zu markieren.
Geh die Sache doch mal sportlich an: «Mit wie wenigen Wörtern kann ich diesen Abschnitt wiedergeben?» Schreib diese wenigen Wörter auf ein Blatt oder an den Rand deines Lernmaterials und versuche, allein mit ihrer Hilfe den Sachverhalt oder das Thema zu rekonstruieren.
Diese Übung hilft dir, besser zu erkennen, was Wesentlich ist und was getrost weggelassen werden kann.
Informationen reduzieren kannst du besonders gut mittels grafischer Darstellung.
Schon allein dadurch, dass du deinen Lernstoff auf ein Mindmap, eine Fachlandkarte, ein Lernposter oder ein Diagramm reduzierst, gibst du den einzelnen Informationen mehr Gewicht und kannst sie besser einordnen. Eine strukturierte Darstellung, reduziert auf das Wesentliche, lässt sich leichter lernen als reiner Text.
Lernprinzip: Reduziere das zu Lernende auf möglichst wenig Informationen, die du leicht wiedergeben kannst!
3. Informationen einprägsam machen
Bleiben wir doch beim Bild des Lagerhauses. Du hast viel gelernt und in deinen Regalen sind immer mehr Päckchen abgestellt. Dummerweise sehen viele gleich aus.
Wie solltest du hier das eine vom anderen unterscheiden und rasch zur Abgabestelle bringen können? Vor allem, wenn du unter Zeitdruck und Prüfungsstress stehst? Damit deine Informationen gut abrufbar sind, müssen sie einprägsam sein – oder eben: merkwürdig.
Hast du dir schon einmal überlegt, weshalb du dir die einen Dinge besser und andere weniger gut merken kannst?
Genau: Für das eine Fach interessierst du dich mehr, für ein anderes weniger.
Emotionen, Interesse und Motivation helfen uns, Gelerntes gut abzuspeichern.
Kommt hinzu, dass wir uns mit den Lieblingsthemen gerne beschäftigen – also rufen wir ihre Informationen vergleichsweise öfter ab als Informationen von «Hassthemen», mit denen wir uns nur gezwungenermassen beschäftigen, normalerweise aber eher aus dem Weg gehen.
Was uns am besten bleibt: das Merkwürdige.
Es gibt verschiedene Methoden, um Informationen einprägsam zu machen.
Die frühere Gedächtnis-Weltmeisterin Christiane Stenger erklärt in ihrem unterhaltsamen Buch «Wer lernen will, muss fühlen», wie wichtig unsere Emotionen und sinnlichen Eindrücke beim Lernen sind.
Alles, was damit verknüpft ist, lernt sich besser. Dazu kannst du ein kleines Experiment machen: Gibt es einen Begriff oder ein Fachwort, das du dir beim besten Willen nicht merken kannst? Schreib das Wort auf eine Lernkarte und betupfe sie mit ein wenig Parfum, Schokolade oder Senf. Trag die Karte einen Tag lang mit dir herum und präge dir das Wort ein, während du daran schnupperst. Wetten, das vergisst du nie wieder?
Andere Hilfen, um Informationen einprägsam(er) zu machen, sind: Eselsbrücken, Akronyme, Erklär-Geschichten, Visualisierungen oder auch die bekannte Loci-Methode, die Informationen mit (gedachten) Orten verknüpft.
Lernprinzip: Wer beim Einprägen genügend Zeit investiert, reduziert den zeitlichen Aufwand beim Wiederholen beträchtlich!
4. Informationen genügend oft wiederholen
Hast du jemals eine Prüfung verhauen? Hoffentlich nicht. Wenn doch, ist die Chance sehr gross, dass du schlicht zu wenig wiederholt hast. Die meisten Studierenden befassen sich grundsätzlich gerne mit dem Lernstoff – vor allem, wenn er neu ist.
Die Gefahr dabei ist: Sie packen riesige Mengen Informationen auf einmal ins Lagerhaus. Doch dann verirren sie sich darin, weil sie den Weg zu den einzelnen Informationen wieder vergessen.
Fatal, denn an der Prüfung wird nicht gefragt, wie gut wir lesen oder einen Stoff aufbereiten können, sondern wie gut wir ihn abrufen können. Im Wort «Wiederholung» steckt das
Prinzip: Wir müssen das Gelernte wiederholen. Genau das wird im Test verlangt, also solltest du genau dies üben.
Richtig wiederholen
Wiederholen kann monoton und langweilig sein, weshalb es wahrscheinlich gerne «vergessen» wird. So macht Wiederholen mehr Spass:
- Das Gelernte häufig und in kurzen Abständen abrufen. (Eine Lernkartei oder -App bringt System ins Wiederholen.)
- Maximal 20 Minuten am Stück repetieren. (Ähnlich wie beim Krafttraining, führt das zu lange Training bloss zu Muskelkater – oder eben: Motivationsverlust.
- Nicht zu viele Informationen auf einmal wiederholen (z. B. nur wenige Lernkarten oder Inhalte über den Tag verteilt - dafür öfter).
- An unterschiedlichen Orten abrufen (z. B. bei einem kurzen Spaziergang, auf einer Parkbank oder grundsätzlich immer in Wartezeiten).
- Auf unterschiedliche Weise abrufen: jemandem etwas erklären, etwas aufzeichnen, sich selber etwas erzählen, sich gegenseitig abfragen, einen kurzen Essay schreiben – kurz: alles, was das Abrufen aktiver und abwechslungsreicher macht.
Lernprinzip: Der Lernprozess tritt beim Abrufen ein, nicht beim Einprägen! Also möglichst oft, möglichst kurz (am besten über den Tag verteilt) abrufen.
Der beste Freund des Gedächtnisses: Guter Schlaf
Schlaf ist ein wichtiger und sehr oft unterschätzter Lernfaktor, das haben unzählige Studien inzwischen zweifelsfrei belegt. Dabei gilt es, auf die Schlafdauer und die Schlafqualität zu achten.
Wer lange nach Mitternacht ins Bett geht, geniesst weniger Tiefschlaf – genau dieser ist jedoch wichtig, um Informationen ins Langzeitgedächtnis zu transportieren.
Und wer zu früh morgens aufsteht, verpasst den Traumschlaf – dieser ist zuständig für Kreativität und Lösungsfindung.
Interessante Experimente der Schlafforschung haben darüber hinaus gezeigt, dass man sich besser an seinen Lernstoff erinnert, wenn man direkt nach einer Lernphase ein kurzes Nickerchen macht.
Lernprinzip: Im Schlaf wird das Gelernte gefestigt. Genügend Schlaf vor dem Lernen ist genauso wichtig wie das Schlafen nach dem Lernen.
In Kürze:
- Wenn es schwierig wird, verlangsame das Lerntempo. Lerne so langsam, dass du es verstehst.
- Reduziere den Stoff auf möglichst wenige Informationen, die du leicht in eigenen Worten wiedergeben kannst.
- Investiere beim Einprägen genügend Zeit, dann reduziert sich dein zeitlicher Aufwand beim Wiederholen deutlich
- Der Lernprozess tritt beim Abrufen ein, nicht beim Einprägen! Also möglichst oft, möglichst kurz (am besten über den Tag verteilt) abrufen.
- Im Schlaf wird das Gelernte gefestigt. Genügend Schlaf vor dem Lernen ist genauso wichtig wie nach dem Lernen.