Du sollst dir kein Bildnis machen.
«Du hast dir nun einmal ein Bildnis von mir gemacht, das merke ich schon, ein fertiges und endgültiges Bildnis, und damit Schluss.
Anders als so, ich spüre es ja, willst du mich jetzt einfach nicht mehr sehen.» (Max Frisch, Stiller)
Hat sich von dir auch schon einmal jemand ein fertiges Bild gemacht, dessen Pinselstrichen du nicht mehr entkommen konntest?
Oder hast du dir sogar von dir selbst ein Bildnis deiner Identität konstruiert, so dass dir andere Möglichkeiten nicht mehr offenstanden?
Oftmals beharren wir umso mehr auf einem solchen uns selbst zugemuteten Bild, desto mehr es verblasst.
Manchmal erscheint es uns auch ganz bequem in diesem starren Rahmen festzuhängen, denn heraus zu treten bedeutet eine anstrengende Entscheidung zu treffen.
Wenn Max Frisch sagt, dass es die Liebe ist, die den Menschen aus einem Bildnis befreit, meint er vorwiegend die Liebe eines anderen Menschen.
Ich masse mir an Herrn Frischs Aussage etwas zu ergänzen und zu behaupten, dass auch die Liebe zu einem bestimmten Interessensgebiet, das unsere eigenen Bedürfnisse spiegelt, diesen Effekt haben kann.
Schliesslich produzieren wir bei intensiver Beschäftigung mit unseren Interessen denselben Hormoncocktail, wie wenn wir lieben. And love is the answer, right?
Geschichte war meine Leidenschaft seit ich mit ca. elf Jahren das erste Mal Reden der französischen Revolutionspolitiker und Biographien von Amenophobis IV über Elisabeth I bis Maximilien Robespierre verschlungen habe.
Als Teenager hingen in meinem Zimmer statt Poster von Bon Jovi Bilder historischer Akteur/innen, die ich besonders liebte.
Geschichte war bereits damals für mich keine Vergangenheit, sondern die anwesende Abwesenheit von Vergangenheit, wie dies der Historiker Achim Landwehr wunderbar auf den Punkt brachte.
Wenn ich die Geschichten dieser Menschen las war mir ihre eigene Gegenwart, die jeder Quelle, die sie zu-rückliessen, immanent ist, immer bewusst.
Ebenso klar war mir schon früh, dass unsere heutigen Handlungen, Gedanken und Diskurse nicht im luftleeren Raum entstanden sind, sondern eine historische Kontinuität haben.
Deshalb war und ist es so wichtig, Geschichte nicht lediglich als Vergangenes zu sehen, sondern sich ihre konstitutive Rolle für unsere Gegenwart bewusst zu machen.
Trotz dieser Leidenschaft für Geschichte begann ich eine klassische Gesangsausbildung.
Warum?
Weil ich, wie so viele Teenager, vor allem gesehen werden wollte… und wo konnte man denn schon mehr gesehen werden als auf einer Bühne?
Jedenfalls mehr als in einem staubigen Geschichtsarchiv.
Dass ich eigentlich nicht gerne auf genau ebendieser stand, dass ich nicht wirklich dafür brannte, dass ich mich nicht wie andere Sänger/innen «in der Musik» verlor und dass ich mit der absoluten Abwesenheit von Rhythmusgefühl gesegnet war, fiel nicht wirklich ins Gewicht.
Schliesslich glaubte ich damals noch die liberalis-tisch-kapitalistische Mär, dass jeder alles schaffen kann.
Das Bildnis war gemacht – oder vielmehr mir selbst übergestülpt.
Als ich mit neunzehn Jahren aus Québec/Kanada in die Schweiz kam, habe ich dennoch ein Geschichtsstudium an der Universität Bern begonnen, welches ich jedoch aus verschiedenen Gründen abbrechen musste.
Danach folgte ein unkonventioneller Werdegang, der von der Tätigkeit als semi-selbstständige Sängerin und Geschichtsvermittlerin in einer transdisziplinären Gruppe sowie verschiedenen Teilzeitjobs geprägt war… und vor allem von ganz viel Unzufriedenheit.
Die Auftritte als Sängerin waren für mich nur Krampf und Kampf, was ich hingegen liebte waren die historischen Recherchen für die Auftritte der Gruppe, die aber leider den kleineren Teil der Arbeit darstellten.
Es gingen noch einmal einige Jahre ins Land, bis ich erkannte, dass ich mir ein Bild meiner Selbst angetan hatte, dass mit meinen eigenen Bedürfnissen, Leidenschaften und Interessen recht wenig zu tun hatte.
Der schwierigste Schritt war dieses Eingeständnis und der Mut aus dem Hamsterrad der Selbstbeübung auszutreten. Ich hatte doch so vieles getan, geopfert, investiert – wie konnte ich das alles nun einfach aufgeben?
Dr. Faustus versank in Melancholie als er erkannte, dass er aus seinem wohl bekannten Deal mit Mephisto nicht mehr rauskam.
Tatsächlich ist der Moment nach dem Eingeständnis, nämlich die Ablösung und die Neu-Orientierung ein gleichzeitig trauriger und euphorischer… und insbesondere eine gefährlicher, weil beides auch zu einem Austausch des einen mit dem anderen Bild führen kann.
In einem ersten Schritt nahm ich mir also eine Auszeit von allen bisherigen Aktivitäten, arbeitete 100 % als Assistentin und prüfte verschiedene Wege, die in Frage kamen.
Mir die Zeit zu lassen mich zu entscheiden war goldrichtig, denn diesmal konnte ich alle Optionen prüfen, Abklärungen treffen, Feedback meiner vertrautesten Personen mit einbeziehen, aber vor allem und am wichtigsten: in mich hinein hören.
Dies war ein längerer Prozess, wenn ich jedoch einen bestimmten Moment nennen müsste, indem ich beschloss den schlechtsitzenden Bilderrahmen samt Bild in die Tonne zu treten, war dies wohl bei einer Wanderung zum Montségur, einem der grossen tragischen historischen Orte Südfrankreichs.
Der für die momentanen Ausgrabungen zuständige Archäologe und Historiker sprach sehr eindrücklich die Ermordung der Katharer am Fuss des Berges im 13. Jahrhundert an.
Er wies daraufhin, dass der oft gehörte Satz bezüglich histori-scher Massaker «ist ja lange her» Leid banalisiere, da es völlig gleichgültig sei, wie lange Leid und Tod her sei, denn das Leid an sich ist nicht in der Zeit eingefroren und hat seine Bedeutung nicht als Ereignis der Vergan-genheit, sondern im Hier und Jetzt.
Dies entsprach so sehr meiner eigenen Einstellung zu Geschichte, dass mir bewusst wurde, dass ich einen Weg zurück zu meiner eigentlichen Liebe (und damit zu mir) finden musste.
Die FernUni Schweiz bot dazu die perfekte Möglichkeit, da mit dem Teilzeitmodel erst einmal ein «Probelauf» möglich war, um zu entscheiden, ob dies nun wirklich der richtige Weg für mich ist.
Es stellte sich rasch her-aus: ja, dafür brannte ich nach wie vor, ohne dass ich mich in eine Identitätsform pressen musste. Das war ich!
Die drei Jahre des Bachelor-Studiums in Geschichte zu bewältigen war kein Problem, ich war völlig in mir angekommen und hochmotiviert. Der erfolgreiche Abschluss im Sommer 2021 und das anschliessende Studium des spezialisierten Masters der Geschichte und Philosophie des Wissens an der ETH Zürich bestätigen mir die Richtigkeit dieses Entscheides immer wieder aufs Neue.
Zudem eröffnet es so viele neue Möglichkeiten, die immer wieder Raum für Verwandlungen und Entfaltungen lassen.
Es erscheint mir allerdings nicht nur wichtig zu erkennen, dass wir uns allenfalls Bilder von uns gemacht haben (oder von uns gemacht wurden), die wenig mit unseren Bedürfnissen und inneren Bildern zu tun haben, son-dern den Mut zu haben uns auf Verwandlungen einzulassen.
Wir sind nicht einfach ein eingefrorenes Bild, sondern ein buntes Kaleidoskop von Bildfragmenten.
Die FernUni Schweiz kann dich auf diesem Weg unterstützen, aber Neues wagen, gemachte Bilder loslassen und sich auf die Bilderwelt des Kaleidoskops einzulassen – diesen ersten Schritt kannst du nur allein wagen. Go for it!