Wie beeinflusst die Einstellung die Lernfähigkeit? Die amerikanische Psychologin Carole Dweck hat jahrelang über dieses Thema geforscht.
«Growth Mind» - so nennt sie den Geisteszustand, der es dir erlaubt, zu wachsen, Herausforderungen als Chancen zu sehen und die Lernfähigkeit zu verbessern.
Was ist das Komplexeste, was du je gelernt hast? Was hast du gelernt, obwohl du dachtest, du würdest das nie im Leben schaffen? In welchem Fach, Bereich oder welcher Fähigkeit bist du durch Üben besser geworden?
Egal, wie deine Antworten ausfallen, sie zeigen: Du bist nicht mit all deinen heutigen Fähigkeiten geboren, sondern hast sie im Laufe deines Lebens entwickelt. Banal? Überhaupt nicht.
Viele Erwachsene glauben, dass ihre intellektuellen Fähigkeiten angeboren und unveränderlich sind. Wer davon überzeugt ist, «so geboren» zu sein, sagt gerne auch: «dafür habe ich kein Talent», «das kann ich einfach nicht» oder «ich bin halt so».
Die Forschung in den letzten Jahren hat eindrücklich gezeigt: Unser Gehirn ist in hohem Masse plastisch – also veränderbar – und dies fast bis zum letzten Atemzug. Den Spruch «was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr» können wir getrost aus unserem Wortschatz entfernen.
Es stimmt zwar, dass Hans mehr Zeit und Energie investieren muss, um etwas zu lernen, was Hänschen in Windeseile schafft – aber grundsätzlich kann auch Senior Hans vieles schaffen.
Vorausgesetzt, er ist sich dessen bewusst und pflegt die Überzeugung: «Ich kann alles lernen – wenn ich mich anstrenge, Zeit investiere und übe!»
Seit ihrer Jugend interessiert sich Carole Dweck brennend für eine Frage:
Wie kommt es, dass die einen bei Schwierigkeiten aufgeben und den Herausforderungen mehr und mehr aus dem Weg gehen, während andere – die überhaupt nicht begabter, intelligenter oder talentierter sind – aufblühen, sich in das Problem hineinknien, dranbleiben, es weiter probieren und sich irgendwann sogar auf Herausforderungen freuen?
Dweck wurde Psychologin und hat mit ihren Studien vor ein paar Jahren ziemliche Wellen geschlagen.
Sie wurde ins Weisse Haus eingeladen, sprach vor den Vereinten Nationen und berät viele wichtige Bildungsorganisationen. Ihre Kernbotschaft lautet:
«In a Growth Mindset, challenges are exciting rather than threatening. So rather than thinking Oh – I’m going to reveal my weaknesses, you say Wow, here’s a chance to grow!».
Dweck prägte den Begriff «Growth Mindset» und unterscheidet eine wachstumsorientierte Geisteshaltung von einer statischen Denkweise.
Glaubst du, deine Fähigkeiten sind angeboren oder kannst du sie entwickeln? Bestimmt einzig dein angeborenes Talent oder dein Mangel über deinen Lernerfolg?
Was macht es mit dir, wenn du glaubst, dich in einem gewissen Bereich nicht entwickeln zu können? Dweck zufolge macht es einen riesigen Unterschied beim Lernen, ob du mit einem statischen oder dynamischen Selbstbild an die Sache herangehst.
In ihren Studien hat Carol Dweck Tausende von Schülerinnen und Schülern getestet. Allein in Chile nahmen in einem Jahr sämtliche 10-Klässler/innen daran teil, mehr als 170‘000 junge Menschen aus allen Einkommensschichten.
Dabei zeigte sich: Wer davon überzeugt ist, dass er sich entwickeln kann, erzielt bessere Schulnoten.
Es erscheint sicherlich logisch, dass Menschen, die davon überzeugt sind, dass sie sich entwickeln können, sich auch entwickeln.
Schliesslich ist klar, dass ich Mathematik nicht lernen kann, wenn ich glaube: «Für Mathematik habe ich kein Talent.»
Doch Dwecks Arbeiten zeigten: Wer in einem bestimmten Fach während der Prüfungsphase ganz gezielt ein dynamischeres Selbstbild entwickelt, verbessert seine Leistung in dieser Prüfung signifikant.
Mit dieser Einstellung studiert es sich leichter: «Auch ich kann in Mathematik gut abschneiden – wenn ich übe und mich anstrenge.»
Carole Dweck warnt jedoch von übertriebenen Erwartungen: «Jeder hat eine feste Vorstellung von sich selbst in gewissen Bereichen.» Niemand kann, muss oder wird sich in allen Bereichen, in denen er oder sie herausgefordert wird, entwickeln.
Zum Beispiel kann es eine kluge Entscheidung sein, nicht weiter Tennis oder Klavier zu spielen, wenn klar wird, dass der Aufwand dafür, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, zu gross wird. Wenn ich zum Beispiel kleine Hände habe oder auch gar keinen Spass daran habe, viermal in der Woche über einen Sandplatz zu hetzen, darf ich es getrost bleiben lassen.
«Da wo wir wichtigen oder selbst gewählten Herausforderungen – z. B. eine Prüfungen – aus dem Weg gehen, sollten wir vorsichtig sein und unsere Haltung überdenken.»
Nehmen wir das Beispiel: Du hast dich für ein Studium entschieden, aber tust dich in einem Fach schwer, z. B. in Statistik. Sagen wir, dieses Fach ist zwingend notwendig für den Studienerfolg.
Welche Folgen hat es, wenn wir uns keine Entwicklung in Statistik zutrauen? Wenn wir uns für «zu dumm für Statistik» erklären? Oder behaupten, für Statistik sei zwingend Talent notwendig, das wir halt leider nicht hätten?
Dann passiert es leicht, dass wir uns in die Schublade «unbegabt» stecken, entmutigt sind und uns die Erlaubnis geben, uns in diesem Fach nicht mehr anzustrengen.
Kurz gesagt: Wir denken nicht weiter über hilfreiche Strategien nach, suchen weder Lösungen noch Hilfe für unser Problem oder experimentieren nicht mehr mit Dingen, die zu besseren Resultaten führen könnten.
Und: Wir betreiben eindeutig weniger Aufwand in diesem Fach, als nötig wäre, um ein akzeptables Ergebnis zu erzielen.
Interessanterweise können auch Studierende mit guten Leistungen in der Zwickmühle des starren Selbstbilds landen.
Die Überzeugung oder der Anspruch «ich bin die Beste in Statistik» führt mich dazu, primär meinen ersten Platz in diesem Fach zu verteidigen, als mich mit dem Inhalt zu beschäftigen.
Meine ganze Energie fliesst in die Bemühung, den Lernstoff korrekt wiederzugeben, schlimmstenfalls sogar auswendig zu lernen.
Ich experimentiere bewusst nicht mehr und gehe jedem Risiko, das mich von meinem Spitzenplatz vertreiben könnte, aus dem Weg. Nicht selten verlieren gerade deshalb auch leistungsstarke Studierende die Freude an dem Fach, in dem sie gut sind.
Dweck hat in ihren Studien gezeigt, dass sich gerade in Wörtern wie «Talent», «intelligent», «begabt» oder «unbegabt» Hinweise auf ein starres Selbstbild verstecken.
Wer sich selbst als «talentiert» beschreibt, legt sehr oft den Fokus auf das Resultat – die Note – statt auf den Prozess, der zu diesem führt. So entsteht auch der Irrglaube, leistungsstarke Studierende müssten sich nicht anstrengen oder nicht üben.
Die «guten» Studierenden sind aber gerade diejenigen, die sich in etwas hineinknien, bei Schwierigkeiten dranbleiben und am Ende einer Lernphase tatsächlich Fortschritte gemacht haben!
Dweck hat Kriterien herausgearbeitet, in denen sich das statische vom dynamischen Selbstbild unterscheiden. Hier sind ein paar davon aufgelistet:
Statisches Selbstbild |
Dynamisches Selbstbild |
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Nochmal zur Erinnerung: Unser Selbstbild ist in einigen Bereichen dynamisch, in anderen statisch. Carol Dweck zufolge ist das normal. Niemand muss sich permanent in allen Lebensbereichen weiterentwickeln.
Da wo dich ein allzu starres Selbstbild hindert, deine gesetzten Ziele zu erreichen, solltest du deine Überzeugungen aber überdenken.
1. Streiche Wörter wie «Talent», «intelligent», «dumm», … aus deinem Wortschatz. Sie sind meistens nur eine Entschuldigung dafür, sich nicht anzustrengen.
2. Sag ab sofort öfter «ich kann das noch nicht» oder «wenn ich das übe, werde ich besser darin». Tatsächlich sind viele Fächer schwierig und werden bis zum Schluss nicht leichter – aber du wirst besser darin, wenn du übst.
3. Suche deine «Trigger»: Wann genau versuchst du, Herausforderungen aus dem Weg zu gehen? Wie reagierst du auf (berechtigte) Kritik? Was löst ein Fehler in dir aus? Welche Situationen versuchst du generell zu vermeiden?
4. Suche einen Weg oder eine Strategie, wie du deine Entwicklungsfähigkeit in deinem Wunschgebiet in kleinen, gangbaren Schritten entwickeln kannst. Gibt es eine Lernstrategie, die dir helfen könnte? Könnte es helfen, die Dinge einmal ganz anders anzupacken? Brauchst du Hilfe?
- Die Einstellung zur eigenen Lernfähigkeit ist zentral für den Lernerfolg.
- Lernfähigkeit kann trainiert werden.
- Begriffe wie «Talent», «dumm» oder «intelligent» führen in eine Sackgasse.
- In Bereichen, die dir wichtig sind, kannst du deine Einstellungen verändern.
- Ein guter Anfang ist, die Aussage «ich kann das nicht» durch «ich kann das noch nicht» zu ersetzen.
Dynamisch oder starr? Erkennst du die Gedanken dahinter?
Setze ein «D» für dynamisch oder ein «S» für starr ins Kästchen. Unten findest du die Lösungen:
1. Ich werde das bestimmt lernen. Das ist nur eine Frage der Zeit / Strategie.
2. Ich bin halt kein Genie. Warum sollte ich mich anstrengen?
3. Mein Gehirn ist wie ein Muskel. Wenn ich trainiere, wird es stärker.
4. Das ist echt mühsam. Ich sorge mal für gute Stimmung, dann kann ich länger dranbleiben.
5. Ich kann alles lernen – vorausgesetzt, ich investiere Zeit und Energie.
6. Ich halte es einfach nicht aus, wenn etwas schwierig wird. Besser, rasch abbrechen, als mich stundenlang umsonst mühen.
7. Das ist richtig schwierig - aber so schnell gebe ich nicht auf.
8. 10 Minuten lang üben ist besser als gar nichts machen.
9. Es wäre ja viel verlangt, wenn ich das auf Anhieb schaffte. Ich versuch’s noch einmal.
10. Ich freue mich, wenn ich meinen Fortschritt sehe. Ganz egal, wie klein er ist.
11. Ich habe wieder einen Fehler gemacht. Ich bin halt wirklich untalentiert in diesem Fach.
12. Noch habe ich mein Ziel nicht erreicht – aber ich sehe den Fortschritt.
13. Es gibt Fächer, da lohnt sich die Anstrengung nicht – die sind eh‘ unnötig.
14. Lernfähigkeit/Intelligenz ist angeboren und unveränderlich. Warum anstrengen?
15. Prüfungen sind doof - aber ich übe mich darin,cool zu bleiben!
16. Ich bin halt nie gut in Prüfungen. Das war schon immer so, das lässt sich nicht ändern.
17. Keiner kann mir helfen.
18. Ich werde nie so klug / so talentiert sein wie andere.
19. Anstrengung ist ungesund und verdirbt mir die Laune.
20. Das ist einfach zu schwierig. Dafür muss man halt geboren sein.
21. Menschen sind geborene Problemlöser.
22. In dieser (kurzen) Zeit kann ich sowieso nichts (mehr) machen.
23. Ohne Begabung läuft an einer Uni eh nichts.
24. Ich war immer schon schlecht in XY (Fach). Schon meine Mutter / mein Vater war schlecht darin. Das ist ein unüberwindbarer Familienfluch.
25. Was sehe ich nicht? Irgend etwas fehlt mir noch für die Lösung!
26. Es ist ein gutes Gefühl, mein Bestes gegeben zu haben.
27. Ich kann das noch nicht. Es wird mehr Zeit brauchen, aber ich schaffe das!
28. Besser nichts als etwas Falsches zu sagen.
29. Es ist wichtig, dass ich mich verbessere, aber Perfektion muss nicht sein.
30. Oh – interessant! Dieser Fehler zeigt mir den Weg zur Lösung!
31. Das läuft nicht gut. Also versuche ich mal eine andere Strategie / Methode.
32. Hier komme ich nicht weiter. Besser, ich gebe auf.
33. Das Lernen wird nicht leichter.Aber ich werde besser darin, wenn ich es übe.
34. Die anderen sind halt besser. Da kann ich nichts dagegen tun.
35. Hier komme ich alleine nicht weiter. Mal sehen: wer könnte mir helfen?
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