Viele Leute meinen, ihre persönlichen Daten seien nicht wichtig, hätten keinen Wert und ihre Verwendung sei keine Bedrohung für unsere Privatsphäre.
Schliesslich ist deren Verwendung doch durch Gesetze geregelt.
Also kann ich doch davon ausgehen, dass meine Daten allein nicht sonderlich interessant sind.
Was ich den Tag über mache, wie viel Zeit ich am Computer verbringe, was mit wem und wo ich esse, meine Suchverläufe im Internet, meine Online-Einkäufe und die verwendeten Zahlungsmittel, die Artikel, die ich lese, oder die Leute, denen ich in den sozialen Medien folge - all diese Informationen aus meinem digitalen Leben, zusammenhanglos gestreut, erscheinen unbedeutend.
Und selbst dann, wenn Werbeunternehmen diese Informationen dazu nutzen mir Produkte anzubieten, die meinen Bedürfnissen entsprechen – warum nicht?
Wenn Behörden sie erfassen, um die Sicherheit zu erhöhen und Terrorismus zu bekämpfen, umso besser!
Als braver Bürger habe ich mir nichts vorzuwerfen, ich habe nichts zu verbergen!
Eine solche Einstellung können wir uns heute nicht mehr leisten.
Wie oft hören wir von böswilligen Hackern, die Cyberangriffe auf personenbezogene Daten starten.
Davor können wir nicht die Augen verschliessen und der Schaden ist für die betroffenen Personen real.
Genauso wie es die „traditionellen“ Verbrechen und Vergehen gibt, seit der Mensch diesen Planeten bevölkert.
Diese müssen bekämpft werden, aber sie lassen sich nicht ganz auslöschen.
Ich möchte hier aber auf ein viel heimtückischeres Übel eingehen, das sich mit der rasanten Entwicklung der künstlichen Intelligenz eingeschlichen hat:
Die Verwertung von Milliarden von Daten, die wir Tag für Tag produzieren, durch Algorithmen.
Mit anderen Worten – was sich hinter unseren Bildschirmen abspielt, wenn wir mit unseren bevorzugten digitalen Werkzeigen interagieren.
Wie Roboter (ein Mensch wäre dazu natürlich nicht in der Lage) alle diese Informationen in Beziehung setzen, sodass sie für eine Handvoll Menschen extrem wertvoll und nützlich sind.
Personen, die bereits Multimilliardäre oder Autokraten sind, deren Machthunger sich umgekehrt proportional zu ihrem ethischen Empfinden verhält.
Zu argumentieren, dass du keine Privatsphäre brauchst, weil du nichts zu verbergen hast, ist so, als würdest du sagen, dass du keine Meinungsfreiheit brauchst, weil du nichts zu sagen hast.
Dieses Zitat von Edward Snowden, einem ehemaligen US-Geheimdienstagenten der CIA, der sich heute im Exil befindet, weil er Menschenrechtsverletzungen durch seine früheren Arbeitgeber aufgedeckt hat, finde ich sehr inspirierend.
Es ist ein Appell, sich über das Grundrecht Gedanken zu machen, für das Generationen vor uns gekämpft haben, ja sogar das ultimative Opfer gebracht haben.
Ich spreche vom Recht auf Wahrung der Privatsphäre, verankert in Artikel 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.
Die moderne Technologie ermöglicht eine Verarbeitung von Daten, die früher nur mit enormem Aufwand realisierbar war.
Beispielsweise kann die einfache Tatsache, dass wir uns heute zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort mit Personen aufhalten, deren Handlungen irgendwann später tragische Konsequenzen haben, Auswirkungen auf unser eigenes Leben haben.
Unsere digitalen Spuren können von Computern ausgewertet werden, die in der Lage sind, diese Informationen zu finden und zu verarbeiten.
So wie wir aufgrund der Zugehörigkeit einer Gruppe, deren Ansichten von einer „Norm“ abweichen, ins Visier einer Behörde geraten können, die andere Überzeugungen und Interessen vertritt.
Niemand weiss, wie unsere Handlungen oder Publikationen von heute Morgen ausgelegt werden.
Das ist auch der Grund, warum das Recht auf Wahrung unserer Privatsphäre eng mit der Möglichkeit verbunden ist, unsere Meinung zu äussern, Informationen zu Themen zu suchen, die im Widerspruch zu unseren Wertvorstellungen stehen, am Ideenaustausch mit Menschen teilzunehmen, die andere Wertvorstellungen haben, oder ganz einfach persönliche Informationen für uns zu behalten.
Nicht, dass sie für andere beschämend oder schädlich wären, sondern einfach, weil wir kein Interesse daran haben, sie zu teilen, oder weil es sich um Meinungen handelt, die noch nicht zu Ende gedacht sind.
Diese Reflexion ist nicht möglich, wenn unser Online-Verhalten systematisch von Algorithmen analysiert und beeinflusst wird, die programmiert sind, uns süchtig nach politischen Propagandainhalten zu machen oder deren Gewinn nur zum Nutzen kommerzieller Unternehmen eingesetzt werden.
Lassen wir uns nicht täuschen.
Das Argument, mit dem wir dazu gebracht werden sollen, unsere Informationen zu teilen, und Tracker auf unseren Geräten zu akzeptieren, ist immer gleich:
Fakt ist, dass diese Methoden der gezielten Profilerstellung allein den Zweck haben, den optimalen Preis zu finden, zu dem ein Geschäft abgewickelt wird.
So wird z. B. analysiert, wie häufig wir nach diesem oder jenem Produkt suchen oder wie gut wir unter Berücksichtigung unseres Standorts und unserer Kaufhistorie finanziell aufgestellt sind.
Oder wir werden unter Druck gesetzt, indem vorgegaukelt wird, dass es auf einem bestimmten Flug nur noch drei freie Plätze gibt oder nur noch ein einziger Artikel auf Lager ist ...
All diese Methoden, die auf künstlicher Intelligenz basieren, kommen nicht dem Käufer zugute, sondern demjenigen, dem der Algorithmus gehört, das heisst dem Vermittler (Google, Amazon, Facebook, Apple), der den Kunden und den Händler zusammenbringt und sich seine Leistung gut bezahlen lässt.
Stelle dir ein Wörterbuch vor, dessen Definitionen für jeden Leser unterschiedlich wären weil sie sich nach einem unbekannten Masterplan oder nach rein finanziellen Interessen richten.
Niemand würde mehr ein und dasselbe Wort im gleichen Sinne verstehen.
Diese Metapher beschreibt sehr treffend das Problem mit den aktuellen sozialen Netzen. Der Inhalt, der über unsere Displays flimmert, ist für jeden von uns anders.
Definiert wird er durch unsere Präferenzen, unsere Verweildauer bei bestimmten Abbildungen, unsere Kommentare oder Reaktionen auf Handlungsaufforderungen von Akteuren, von deren Geschäftsmodell wir keine Ahnung haben.
Dies führt unweigerlich zu einer Verzerrung der Realität, weil wir nur noch das zu sehen bekommen, was man uns zeigen will.
Das öffnet nicht nur dem Phänomen der „Fake-News“ Tür und Tor, die so weit gehen können, dass sie die Existenz unserer Demokratien bedrohen, sondern es wird auch unser freier Wille beeinflusst, das heisst die Möglichkeit, uns eine Meinung zu bilden, basierend auf freiwilligen und persönlichen Entscheidungen.
Die Apps für unsere Smartphones wurden entwickelt, damit wir maximal viel Zeit mit unseren Geräten verbringen.
Es gibt immer etwas zu lesen, zu sehen, etwas, das uns gefällt. Das eine Video ist zu Ende, dann fängt automatisch schon das nächste an, basierend auf unseren sogenannten „Präferenzen“.
Sogar unsere Suchanfragen in den Suchmaschinen werden vervollständigt, basierend auf unserem Benutzerprofil, unserem Standort oder unserer Browserhistorie.
Alle diese Funktionen haben nicht das Ziel, uns das Leben zu erleichtern oder uns mehr Zeit zu schenken.
Im Gegenteil!
Sie sollen dafür sorgen, dass du so lange wie möglich online bleibst.
Wir sind zum Produkt geworden, verführt von der Illusion der kostenlosen Services, die von diesen abhängig machenden Apps angeboten werden.
Es gibt nur zwei Branchen, die ihre Kunden als „Benutzer“ bezeichnen, Drogen und Software. - Edward Tufte
Dieser Artikel soll dich nicht dazu bringen, dein Facebook-Konto zu deaktivieren (obwohl – das wäre gar nicht so verkehrt!).
Er soll dich vielmehr auf die Tragweite des Problems aufmerksam machen und zum Umdenken veranlassen. Hier ein paar konkrete Anregungen:
Gewinne wieder die Kontrolle über deine Zeit und benutze dein Smartphone anstatt, dass es dich benutzt.
Lass automatische Benachrichtigungen nur für die Apps zu, auf denen man Nachrichten von echten Menschen erhält (E-Mail, SMS, Chat, Telefon).
Nutze Browser, die die Privatsphäre schützen, und befolge diese Empfehlungen
Wenn es uns als Erwachsenen schon schwerfällt, den Verlockungen zu widerstehen und unseren digitalen Konsum zu zügeln, wie viel schwerer, ja sogar gefährlicher ist es für unsere Kinder und Jugendlichen.
Nicht ohne Grund verbieten Entwickler der Technologie ihren Kindern den Zugang zu deren Produkten ... Wenn es dir schwerfällt, dich von deinen Lieblings-Social-Medias zu trennen, lösche doch im ersten Schritt einfach die entsprechenden Apps auf deinem Smartphone, damit du nur noch über deinen Computer darauf zugreifen kannst.
Deine Bildschirmzeit wird sich dadurch enorm verringern.
Gib keine Informationen weiter, deren Quelle du nicht kennst oder die du nicht überprüfen kannst. Wähle selbst deinen Content aus, lass nicht zu, dass Algorithmen dir vorgeben, was du sehen oder lesen sollst.