Wie oft versprechen wir uns: «Aber morgen fange ich dann an – ganz sicher!», und wiederholen uns am Tag darauf? Das Aufschieben ist ein komplexes Phänomen. Vier Schritte helfen Ihnen aber dabei, aus dem Teufelskreis auszubrechen und in die Gänge zu kommen.
«Eine Studenten-WG ist niemals so sauber wie in Prüfungszeiten.» Wie so viele, hat auch dieser Scherz einen wahren Kern: Studierende auf der ganzen Welt sind bekannt dafür, dass sie genau das aufschieben, was ihnen eigentlich am Herzen liegt: das Lernen auf Prüfungen. Und dass sie sich stattdessen sogar mit so ungeliebten Tätigkeiten wie Putzen beschäftigen.
Interessanterweise sind nur wirklich wichtige Aufgaben vom Aufschieben betroffen. Kein Mensch spricht von «Prokrastination», wenn seine Fenster nicht geputzt, die Versicherungsunterlagen nicht sortiert oder die Kellerräume nicht aufgeräumt sind. Nur das Hinauszögern von wirklich wichtigen Dingen empfinden wir als Aufschieben – aber gerade deshalb oftmals als quälend.
Es gibt Studien, die belegen, dass jüngere Menschen öfter aufschieben als ältere. Ebenso belegt ist: Viele Studierende schieben das Lernen auf. Es ist also ein weit verbreitetes Phänomen. Meiner Erfahrung nach helfen die folgenden vier Schritte, um aus dem Aufschieben ins Erledigen zu kommen:
Ein gewisses Mass an Aufschieben ist normal – und manchmal sogar gesund.
Wer sich pausenlos zu Höchstleistungen antreibt, brennt bald aus. Aber was ist «normales Aufschieben»? Ich nutze dafür eine Art dreiteilige Faustregel: Solange Sie Ihre beruflichen und/oder akademischen Ziele erreichen, Ihre Umgebung nicht in den Wahnsinn treiben und nicht permanent mit sich selbst unzufrieden sind, dann befindet sich Ihr Aufschieben höchstwahrscheinlich in einem ganz normalen Bereich.
Haben Sie Zweifel? Dann beschäftigen Sie sich doch in einer ruhigen Minute einmal mit diesen drei Fragen:
Haben Sie es in der Vergangenheit zuverlässig geschafft, Ihre Ziele zu erreichen? Dann sollte es doch auch diesmal zu schaffen sein – und Ihr Aufschieben ist vielleicht sogar vernünftig, weil Sie ein wenig Pause brauchen. Oder aber Sie werden erst bei einem gewissen Termindruck effizient. Warum also früher anfangen?
Ist Ihr Ziel aber bereits in unerreichbare Ferne gerückt, sollten Sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Die Gründe für problematisches Prokrastinieren sind oft komplex und multifaktoriell. Vielleicht halten alte (eigene oder fremde!) Überzeugungen Sie zurück oder blockieren Sie (zum Bespiel: «Mädchen können nicht mit Zahlen umgehen», «das schaffst du ja eh nicht…!» oder ähnliches)? Psychologische Unterstützung wirkt hier oftmals hilfreich.
Angehörige, Freunde und Teamkollegen sind ein guter Indikator dafür, was noch geht und was nicht. Jammern Sie die ganze Zeit über zu viel Arbeit, sitzen dann aber doch nur herum und daddeln auf dem Smartphone? Seien Sie gewiss: es wird bemerkt. Ihre Umgebung ist ein nützlicher Spiegel – trauen Sie sich, einen Blick hineinzuwerfen und fragen Sie ganz konkret: «Für wie effizient hältst Du mich?»
Dauerhaftes Aufschieben geht meiner Erfahrung nach meist Hand in Hand mit einer grundsätzlichen Unzufriedenheit. Sind Sie nie zufrieden mit der eigenen Leistung? Fühlen Sie sich immer überlastet? Quälen Sie permanent Unentschlossenheit oder Mutlosigkeit? (Wörter wie «immer» oder «nie» weisen in der Regel auf problematische Zustände hin!)
Ich beobachte sehr oft, dass gerade diejenigen Menschen ihr Lernen oder Studieren aufschieben, die sich auch keine richtige Erholung gönnen. Wenn sie sich erholen, dann immer mit einem unguten Schuldgefühl: «Eigentlich müsste ich doch jetzt lernen.» Falsch! Wer gut arbeitet, soll und darf sich gut erholen.
Wie bereits angedeutet, können die Gründe für problematisches Prokrastinieren ziemlich komplex sein. Zahlreiche Studien beschäftigen sich damit. Einige Faktoren können dazu führen, dass wir Aufgaben aufschieben. Hier ein paar typische Gründe:
Kommen Ihnen diese Aussagen bekannt vor? Es kann durchaus sein, dass nicht nur eine der oben genannten Überzeugungen, sondern mehrere miteinander am Wirken sind. Dies macht die Sache so komplex.
Hinterfragen Sie Ihre belastenden Gedanken: 1. «Ist das wirklich wahr?» Sehr oft sind unsere Gedanken reine Befürchtungen, die nichts mit der Wahrheit zu tun haben. 2. «Ist dieser Gedanke jetzt hilfreich?»
Hilfreich ist nur, was uns vom Grübeln ins Tun bringt. Wie zum Beispiel auch der nächste Schritt:
Früher wurde vom «inneren Schweinehund» gesprochen, den wir überwinden, besiegen, niederknüppeln müssten, um unsere Ziele zu erreichen.
Zu müde zum Studieren? Egal – wir zerren uns trotzdem an den Schreibtisch. Wer sein Studium regelmässig so anpackt, speichert im Gehirn die Erfahrung ab: «Studieren ist eine einzige Quälerei!» Und damit wird auch klar, warum es aufgeschoben wird. Weshalb sollten wir freudig mit etwas beginnen, was uns garantiert in Seelenqualen bringen wird?
Heute sprechen Psychologen (insbesondere die Vertreter der «Positiven Psychologie») lieber vom «inneren Bedürfniswächter», der dafür sorgt, dass wir uns keinen Schaden zufügen.
Sobald Sie auch nur ans Lernen denken, wirft er sich dazwischen: «Studieren? Puh – das war ja sooo anstrengend das letzte Mal, willst du dir das wirklich wieder antun? Ich finde, du solltest lieber erst ein bisschen Zeitung lesen!»
Im Grunde ist das eine gesunde, vernünftige Haltung! Doch wenn sie überhandnimmt, wird das Studieren auf die lange Bank geschoben.
Sie verlassen den Teufelskreis, indem Sie das Studieren angenehmer machen: Nehmen Sie sich kurze, kleine Aufgaben vor und feiern Sie jedes «erledigt» ausgiebig.
Fühlt sich das für Sie seltsam an? Es mag ungewohnt sein, speziell, wenn Sie sich bisher nur für Perfektion gelobt haben (also nie).
Versuchen Sie, mitzuzählen: Können Sie sich heute mehr über Erreichtes freuen, als dass Sie sich über Unerreichtes ärgern? Dann sind Sie auf einem guten Weg.
Wie würden Sie eine Expedition auf einen sehr hohen Berg angehen? Mit Begeisterung und guten Absichten? Niemand erstürmt einen Achttausender in einem Tag, sondern beginnt mit seriöser Planung und mit dem Marsch ins Basislager.
Dann, am nächsten Tag, ist der Aufstieg ins erste Zwischenlager dran – und so weiter. Gehen Sie Ihr Studium ähnlich an: Nehmen Sie sich regelmässig Zeit für Organisation und Planung, teilen Sie den Weg in überschaubare Strecken auf, markieren Sie Zwischenschritte und feiern Sie Meilensteine.
Bevor Sie sich in Bewegung setzen, muss Ihnen die Aufgabenstellung für das nächste Teilstück klar sein. Oftmals wird gar nicht erst gestartet, weil unklar ist, was überhaupt zu tun ist.
Hier kann eine Rückfrage an die Dozenten hilfreich sein oder die Klärung mit Teamkolleg/innen. «Was genau ist zu tun – und bis wann?» Sie beginnen viel leichter, wenn Ihnen die Antwort auf diese Frage klar ist. Und dann: Sorgen Sie für verbindliche Termine.
Falls Ihnen diese Verbindlichkeit Schwierigkeiten macht, suchen Sie am besten Studienpartner, die dasselbe Ziel verfolgen und Sie dabei unterstützen, Ihre Termine einzuhalten.
Wer einen Achttausender erklimmen will, schafft das nicht alleine mit Begeisterung und vagen Vorsätzen.
Genau dasselbe gilt fürs Studium. Minutiöse Planung, eine Aufteilung des Projekts in gut zu bewältigende Zwischenschritte und verbindliche Deadlines – das ist die Zauberformel.