Was alle tun, ist nicht immer das Richtige. Das gilt vor allem beim Lernen.
Mehrmaliges Lesen, dekoriert mit eingefärbten Textstellen – jede/r kennt es, jede/r tut es.
Nützt es auch? Eher nein. Hier werden Lernstrategien erklärt, die erwiesenermassen effektiv sind.
Ist Ihnen auch schon mal der Verdacht gekommen, dass nicht unbedingt gut ist, was alle tun?
Alle lesen lange Texte mehrmals, alle schreiben endlose Zusammenfassungen, alle quälen sich in langen, ereignislosen Stunden und machen immer das gleiche, alle beginnen erst kurz vor der Prüfung mit dem Lernen…
Wirklich alle? Wer genau hinschaut, dürfte bemerken, dass die wirklich erfolgreichen Studierenden ein paar Dinge anders machen.
Und das Überraschende dabei ist: ihnen machen Lernen und Studieren oft sogar Freude.
Zwei nachweislich schlechte Lernstrategien
Interessanterweise ist das, was alle tun, ganz besonders wirkungslos.
Das hat Professor für Psychologie an der Kent State University John Dunlosky in einer Meta-Studie gezeigt, in der er 700 Forschungsarbeiten über Lernmethoden darauf hin untersuchte, was wirklich wirkt und was nicht.
Er hat aufgrund seiner Resultate eine Rangfolge der Lernstrategien erstellt und sie von «empfehlenswert» bis «hinderlich» eingeteilt.
Seine Erkenntnis: «Die beliebtesten Lernstrategien sind gleichzeitig die wirkungslosesten.»
Es sind diese beiden:
- Mehrmaliges Lesen
- Hervorheben von Informationen mit Textmarkern
Warum schneiden diese beiden im Vergleich mit anderen Lernstrategien so schlecht ab?
Ganz einfach: sie sind furchtbar langweilig und erfordern keine grosse Hirnleistung.
Im Autopiloten-Modus lernt es sich schlecht
Wenn Sie einen komplexen Text mehrmals lesen, dürfte Ihnen spätestens beim dritten Mal vor Langeweile das Gesicht einschlafen.
Oder aber – und das ist ein häufiges Phänomen – Sie lesen den Text zu Ende und fragen sich erstaunt: «Was habe ich eigentlich gerade gelesen?»
Wenn es allzu langweilig oder schwierig wird, schaltet unser Geist gerne in den Autopiloten-Modus oder gönnt sich angenehmere Gedanken und schweift ab.
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem ebenso beliebten Markieren von Textstellen.
Auch hier besteht das Risiko, dass wir immer mehr wichtig erscheinende Wörter übermalen.
Ohne wirklich darüber nachzudenken, ob sie wichtig sind und warum. Es ist wohl jedem schon einmal passiert, dass am Ende ganze Abschnitte eingefärbt waren.
Warum schlechte Lernstrategien manchmal erfolgreich sind – zumindest am Anfang
«Aber, Moment mal» mögen Sie jetzt einwerfen, «ich lerne so und bin zufrieden mit meinen Resultaten!» Das ist durchaus möglich.
Selbst eine nachweislich schlechte Lernstrategie kann erfolgreich sein. Meistens ist sie dies zu Beginn eines Studiums. Und sie ist es deshalb, weil Sie gut darin sind!
Ihre gut eingeübte schlechte Lernstrategie ist erfolgreicher als eine gute, die Sie noch nicht gut anwenden.
Denn selbst gute Lernstrategien müssen erst einmal gelernt werden. Das ist übrigens der Grund dafür, weshalb die wirklich effektiven Lernstrategien es manchmal so schwer haben: wir müssen alte, lieb gewonnene Gewohnheiten für sie aufgeben.
Das beste Beispiel dafür ist das Lernen/Studieren kurz vor der Prüfung. Im Deutschen nennen wir es «Büffeln» die Angelsachsen sprechen von «cramming»: Eine Menge Informationen wird in kürzester Zeit in den Kopf gepresst.
Tatsächlich wird dies von vielen Studierenden praktiziert und einige kommen sogar erstaunlich weit damit.
Doch wenn der Stoff zu umfangreich oder zu komplex wird, oder wenn die Zeit zum Studieren plötzlich wegen etwas Unvorhergesehenem sehr knapp wird, dann versagt die Strategie.
Aber warum sich erst mit wirkungsvollen Lernstrategien befassen, wenn uns das Wasser bis zum Hals steht?
Die besten Lernstrategien sind bekannt und stehen jederzeit bereit:
Platz Nummer 5:
Variation führt zur Meisterschaft
Wenn Sie immer dasselbe tun, wird das Lernen langweilig. Wer nur liest und Informationen hineindrückt, nimmt weniger auf, als wer sich auf verschiedene Weise mit dem Stoff befasst.
Ausserdem: In der Prüfung wird Ihr Wissen auf eine andere Art und Weise abgefragt, als es im Buch oder Script steht – also trainieren Sie besser genau dies: den Stoff in Varianten wiederzugeben.
a. Betrachten Sie den Stoff aus verschiedenen Perspektiven (mit anderen darüber diskutieren, dabei Pro- und Contra-Positionen einnehmen etc.)
b. Wechseln Sie das Medium (nicht immer nur Script oder Buch – suchen Sie einen Film zum Thema. Aber konsumieren Sie auch diesen nicht nur, besser: das Wesentliche am Ende kurz festhalten).
c. Experimentieren Sie mit dem, was Sie heute mitbekommen haben oder versuchen Sie, es im Leben oder an der Arbeit anzuwenden.
d. Gönnen Sie sich Ortswechsel: Lernen Sie im Park, im Garten oder im Café.
e. Strukturieren Sie Ihr Wissen in einem MindMap, Lernposter, Cluster etc. Die eigene Strukturierung ist eine aktive Denkleistung – bleibt also besser hängen.
Platz 4:
Wisse, was Du noch nicht weisst
Beschäftigen Sie sich nicht mit dem, was Sie schon wissen. Klar, es gibt uns ein angenehmes Gefühl zu sehen: «Ah – ja, das kenne ich, das weiss ich, das beherrsche ich…»
Aber dieses gute, vertraute Gefühl ist trügerisch, denn wirklich wichtig ist oftmals das, was wir noch nicht wissen!
Und mit dem befassen wir uns nicht so gerne, eben, weil wir kein gutes Gefühl dabei haben.
Nur: Lernen geschieht nicht mitten in der Komfortzone, sondern an ihrem äussersten Rand.
a. Finden Sie heraus, was Sie noch nicht wissen! (Sehr oft ist es genau das, worüber wir denken: «Das werde ich dann schon können– irgendwie.»)
b. Wurden Lernziele abgegeben? Arbeiten Sie damit.
c. Studieren Sie Inhaltsverzeichnisse: können Sie zu allen Kapiteln und Unterkapiteln etwas sagen oder schreiben?
c. Machen Sie Übungen, zusätzliche Hausaufgaben – vieles davon findet sich im Internet.
d. Fragen Sie Studienkolleg/innen: «Was war das Wichtigste für Dich in diesem Kapitel?»
Platz Nummer 3:
Warum?
Nicht umsonst verbringen Kleinkinder oft Jahre damit, «Warum» zu fragen! Dann genau diese Frage bringt uns weiter.
Wenn Sie ernsthaft nach dem «Warum» fragen, bleibt die darauf Antwort länger im Gedächtnis, als wenn Sie bloss wie ein Papagei wiedergeben, was Ihnen vorgekaut wird.
Wenn Sie wissen, warum Sie etwas tun, verändert sich Ihre Haltung. Sie sind eher bereit, sich attraktive Ziele zu setzen und sind dadurch motivierter.
a. Wecken Sie den Spürhund in Ihnen auf. Versuchen Sie, im Stoff Fehler zu finden oder angreifbare Punkte.
Sie finden diesen Lerninhalt unnötig, er nervt sie? Vielleicht haben Sie ja recht – aber argumentieren Sie! Sammeln Sie Beweise dafür, dass Sie recht haben. So sind Sie innerlich beteiligt – und die Informationen bleiben besser haften.
b. Experimentieren Sie einmal eine Woche lang mit der Frage «Warum». Fragen Sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Zusammenhang mit Ihrem Studium: «Warum?»
c. Diskutieren Sie mit anderen über das Gelernte. Wenn Sie emotional beteiligt sind, bleiben Ihnen die Inhalte besser.
Platz Nummer 2:
Systematische Wiederholung
Vergessen ist leicht – erinnern ist schwer! Dummerweise geht das Wiederholen meistens vergessen.
Wenn Sie zu lange mit Wiederholen warten, müssen Sie sich den Inhalt mühsam wieder erarbeiten. Schade, denn wenn Sie ihn bereits einmal verstanden haben, müssten Sie nur dafür sorgen, ihn nicht wieder zu vergessen!
In Sachen Wiederholung gibt es zwei nützliche Faustregeln:
a. Wiederholen, wenn noch 80 Prozent des Gelernten präsent ist. (Oftmals heisst das, innerhalb der ersten 24 Stunden kurz zu wiederholen, danach ein paarmal im 2-Tages-Abstand).
b. 5 x repetieren. Der durchschnittliche Lerner muss einen Inhalt fünfmal wiederholen, um ihn zu behalten. Manche brauchen weniger, manche mehr Wiederholungen. Experimentieren Sie! Nutzen Sie Lernkarten oder auch Apps wie Quizlet, Card2Brain etc.
Platz Nummer 1:
Selbstabfrage und Selbsttests
John Dunloskys eingangs erwähnte Forschungsarbeit war eindeutig: Die allerbeste Lernstrategie ist die Selbstabfrage.
Hauptsächlich deshalb, weil mit der Selbstabfrage genau das trainiert wird, was in der Prüfung verlangt wird: einen Lerninhalt ohne Hilfe aus dem Gedächtnis wiedergeben zu können.
Fragen Sie sich deshalb selbst ab – so oft es geht.
a. Können Sie diesen Lerninhalt wirklich abrufen? Seien Sie streng mit sich. Ein vages Gefühl von «ja, weiss ich so ungefähr» ist trügerisch!
b. Besorgen Sie sich Probeprüfungen.
c. Tragen Sie wichtige oder schwierige Inhalte auf Lernkarten mit sich. Kurze Abfragen über den Tag verteilt zeigen bald Wirkung.
d. Erstellen Sie einen eigenen Test aus dem Gelernten, legen Sie ihn zwei, drei Tage zur Seite und lösen Sie ihn dann.
Gute Lerner experimentieren mit ihren Lernstrategien
Sie sind zufrieden mit Ihrer Art zu lernen, auch wenn sie vielleicht als «nicht empfehlenswert» gilt?
Prima, freuen Sie sich. Lernen ist so individuell, dass wir getrost sagen können: «Was funktioniert, funktioniert.»
Aber wenn Sie merken, dass Ihnen das Studium anhängt, könnte es sich lohnen, etwas Neues auszuprobieren.
Sie müssen auch nicht alle der empfehlenswerten Lernstrategien sofort anwenden. Picken Sie sich eine heraus, die Sie anspricht und experimentieren Sie eine Zeitlang damit.
Lange genug, um der Strategie eine Chance zu geben, zur guten Gewohnheit zu werden. Ihr Studium wird Ihnen mehr Freude machen, wenn Sie es wagen, Ihren Lernprozess zu variieren und mit ihm zu experimentieren.
Abwechslung macht bekanntlich das Leben süss – und ganz gewiss auch das Studieren!
Das Wichtigste ganz kurz
Verbringen Sie Ihre kostbare Zeit mit Lernstrategien, die effektiv sind. Lesen, Markieren oder Zusammenfassungen, bei denen Sie Wort für Wort abschreiben, sind es nicht!
Raus aus der Komfortzone, rein ins Lernen! Lernen passiert nicht innerhalb der Komfortzone, sondern an ihrem äusseren Rand.
Lernen Sie, das ungute Gefühl zu ertragen, das mit Nichtwissen einhergeht und sprechen Sie sich Mut zu: «Das kann ich jetzt NOCH nicht. Aber wenn ich dranbleibe, werde ich gut darin.»
Der Lerneffekt tritt beim Abrufen auf, nicht beim Hineindrücken! Mehrmaliges Lesen ist Hineindrücken – da bleibt kaum etwas hängen. Wenden Sie immer öfter Methoden an, bei denen Sie aktiv abrufen, was Sie gelernt haben: Lernkarten, Probetests, Mindmaps, Essays unterschiedlicher Länge, Abfragen lassen etc.