Lernen Kinder im naturwissenschaftlichen Unterricht mehr, wenn dabei Virtuelle Realität im Spiel ist? Und wenn ja, warum?
Diesen und anderen Fragen gehen Prof. Dr. Corinna Martarelli, Prof. Dr. Trix Cacchione, Prof. Dr. Sebastian Tempelmann zusammen mit einem interdisziplinären und interinstitutionellen Projektteam auf den Grund.
Ausflüge in eine Virtuelle Realität (VR) schaffen etwas, was sonst in der Schule nicht immer selbstverständlich ist:
Die Kinder haben Spass,
sagt Prof. Dr. Corinna Martarelli, ausserordentliche Professorin für Psychologie an der FernUni Schweiz. Ob sie deshalb automatisch mehr lernen und ob Virtual Reality dabei helfen kann, komplexe Lerninhalte besser zu vermitteln, das versuchen die Forscherin und ihre Projektpartnerinnen und -partner herauszufinden.
Um zu erforschen, ob der Einsatz von Virtual Reality im Unterricht tatsächlich positive (Lern-) Effekte hat, entwickelte Corinna Martarelli zusammen mit Trix Cacchione von der Fachhochschule Nordwestschweiz, Sebastian Tempelmann von der Pädagogischen Hochschule Bern und in Zusammenarbeit mit der Agentur Ateo eigens elf Unterrichts-Lektionen für die Primarstufe. Diese bestehen grösstenteils aus herkömmlichem Unterricht – und natürlich mehreren kurzen VR-Sequenzen.
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Als Thema wählte das interdisziplinäre Forschungsteam den Wasserkreislauf. Gemäss Corinna Martarelli; «weil dieser ein relevantes Thema und im Lehrplan 21 für diese Altersstufe vorgesehen ist und vor allem viele nicht direkt beobachtbare Aspekte umfasst». Zum Beispiel Verdunstung oder Wolkenbildung.
Getestet haben die Forschenden ihren VR-unterstützten Unterricht an acht Klassen einer Primarschule in Naters. Die eine Hälfte der 11- bis 12-jährigen Schülerinnen und Schüler erkundete die virtuelle Lernumgebung am Laptop, die andere mittels VR-Brille. Dabei konnten alle Schülerinnen und Schüler die gesamten Vorgänge rund um den Wasserkreislauf beobachten.
Allerdings konnte nur jeweils die Hälfte der beiden Versuchsgruppen das Geschehen auch via Maus oder Controller aktiv beeinflussen – also beispielsweise die Umgebungstemperatur ändern, einzelne Wassermoleküle herausgreifen oder diesen auf ihrem Weg von der Verdunstung bis zur Tröpfchenbildung in den Wolken folgen.
Ebenso konnten diese Kinder zwischen verschiedenen Ebenen hin und her wechseln – etwa vom Erdboden zu den Wolken oder auch von einer Alltagsperspektive auf die Modellebene.
Bei den Schülerinnen und Schülern kam vor allem das komplette Eintauchen via VR-Brille und das aktive Manipulieren des Geschehens via Controller extrem gut an.
Es war viel unterhaltsamer und ich glaube, ich habe auch schneller gelernt, weil man’s anders erklärt bekommen hat und auch selber Experimente machen konnte,
berichtet ein Schüler von seiner Erfahrung mit dem modernen Unterrichts-Tool.
Schülerinnen und Schüler der Klassen, die nur mit Laptops arbeiten durften, waren dagegen zum Teil unzufrieden. «Die Kinder reden natürlich miteinander…», schmunzelt Psychologin Martarelli.
Eines der Ziele des Projektes, das vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des NFP77 – Digitale Transformation gefördert wird, ist, das von ihnen entwickelte Unterrichtsprogramm zum Wasserkreislauf nach Ende des Projektes im Jahr 2024 interessierten Lehrpersonen zur Verfügung zu stellen.
Bis dahin wollen die Forschenden auch sagen können, ob es überhaupt wirklich praktisch möglich und vom Aufwand her sinnvoll ist, VR-Sequenzen in den Unterrichts-Alltag einzubauen.
Ganz besonders interessieren sich Corinna Martarelli und ihre Kolleginnen und Kollegen allerdings dafür, ob die Virtuelle Realität den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler im naturwissenschaftlichen Unterricht tatsächlich verbessern kann – und wenn ja, wodurch der Effekt genau zustande kommt: Durch die sogenannte Immersion, also das vollständige Eintauchen in eine andere Welt oder durch die Möglichkeit aktiv zu handeln oder eine Kombination beider Faktoren.
Erste Analysen der Daten aus Befragungen der Schülerinnen und Schüler vor Beginn des Experimentes, direkt danach und ein paar Wochen nach dessen Ende weisen darauf hin, dass sich offenbar vor allem das vollständige Eintauchen in die Lernumgebung mittels VR-Brillen positiv auf den Lernerfolg ausgewirkt hat.
Um die gefundenen Effekte noch detaillierter zu untersuchen, möchte Corinna Martarelli die im Klassenunterricht gefundenen Zusammenhänge unter Laborbedingungen noch genauer erforschen.
Dadurch lassen sich Störfaktoren ausschalten, die in der Schule zwangsläufig auftreten.
Auch bei diesem Teil der Forschungsarbeit will sie – wie sie dies auch sonst in ihrer Forschung häufig tut – wiederum Virtual Reality einsetzen.
«Damit kann man eine wirklichkeitsnahe und gleichzeitig stark kontrollierte Umgebung erzeugen».
Den jungen Teilnehmenden dürfen solche Überlegungen vermutlich egal sein. Sie werden höchstwahrscheinlich einfach Spass haben.